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Perspektiven mit Latte Art Cappuccino & Startups – ein Besuch in Ramallah

by Shai Hoffmann on 22. Januar 2016 No comments

Mein Ramallah-Ausflug war spannend und fühlte sich kurzzeitig an, wie eine Reise in eine andere Welt. Direkt nach der Checkpoint-Durchfahrt, fiel mir der viele Müll auf, der überall herumlag. Auch unzählige, nicht fertig gebaute Häuser, die wie verlassene Geisterthäuser die Straße flankierten, prägten das Stadtbild auf dem Weg zum Busbahnhof in Ramallah-Downtown.

Dort angekommen, stiegen wir in ein Taxi, das uns durch die volle, bunte und laute Innenstadt, direkt ins Goethe-Institut: Deutsch lernen in den Palästinensischen Gebieten in Ramallah, fuhr. Dort durfte ich Laura Hartz, die erste weibliche Institutsleiterin in der Westbank, treffen. Wir unterhielten uns über aktuelle Projekte und darüber, wie es ihr als Frau in der Westbank ergeht. Nach einem sehr sympathischen und interessanten Austausch, ließ ich mir noch den Bibliobus zeigen, der von Sophie (siehe Foto) betreut wird. Ein Projekt des Goethe Instituts in Zusammenarbeit mit dem INSTITUT FRANÇAIS Ramallah. Hier fährt ein mit Büchern gefüllter Bus an Schulen in der Westbank, in denen deutsch und französisch unterrichtet wird, verleiht Bücher, spielt mit den Kindern und zeigt Filme. Tolles Projekt, denn Bildung ist m.E.n einer der, wenn nicht gar der, wichtigste(n) Hebel.

Um 16 Uhr empfing uns Entrepreneur Peter Abualzolof in seinem Büro, in dem co-working space der Leaders Organization. Mit Peter sprach ich über seine Visionen, Wünsche sowie die Motivation, die ihn hierher, nach Ramallah, führte. Dieses Videointerview erscheint demnächst auf meinem Blog CrowdLove.

Eine prägende Begegnungen hatte ich im Coffeeshop des co-working space mit den beiden Café-Mitarbeitern Ahmad (links im Bild) und Yousef (in der Mitte):

Während ich auf meinen Cappuccino warte, frage ich die beiden jungen Männer neugierig, ob sie jemals in Israel gewesen seien. „Nein, da dürfen wir nicht hin“, antwortet Yousef neutral. „Und seid ihr in eurem Leben schonmal einem Juden begegnet?“ schiebe ich nach. „Einem Juden?, wiederholt Yousef zaghaft: „nein, noch nie“.

Ich sehe, wie Ahmad erneut Milch aufschäumt und frage ihn, was mit dem Cappuccino sei, den er gerade fertiggestellt hat. „Er sei nicht perfekt“, sagt Yousef, der auf englisch übersetzt, was Ahmad auf arabisch antwortet, da er kein englisch spricht. „Er könne schöne Muster im Milchschaum abbilden; Blumen, Schmetterlinge, Herzen, und wolle mir unbedingt solch einen Late Art Cappuccino machen“, sagt Yousef. Als es Ahmad schließlich nach dem vierten Versuch gelingt, funkeln Ahmads (und auch Yousefs) Augen vor Freude. Ahmad hat das Milchaufschäumen auf Facebook gelernt. Er zeigt mir stolz ein Video von einem Barista, der eine Reihe von Latte Art Cappuccini zaubert. Das hat Ahmad (offensichtlich) so fasziniert, dass er es so lange geübt hat, bis es auch so aussah, wie im Video, erzählt mir Yousef mit einem grinsen im Gesicht. Und ich denke mir klangheimlich, wie viele der „nicht perfekten“ Cappuccini Yousef wohl trinken durfte, pardon: musste, bis Ahmad mit den Mustern zufrieden war. Wir beide grinsen.

Während unserer herzlichen Verabschiedung, verrate ich Yousef und Ahmad vorsichtig und sehr auf die Reaktionen gespannt, dass sie heute übrigens dem ersten Juden ihres Lebens begegnet seien. Nach einer kurzen, mir sehr lang erscheinenden Pause, antwortete Yousef: „Really?“. Ich nicke und Yousuf sagt zu meiner Überraschung: „Actually, you look like a very nice guy“. Wir beide grinsen wieder.

Im Bus auf dem Weg zurück nach Jerusalem, habe ich ein erleichterndes Gefühl. Ich bin glücklich, dass ich diesen Ausflug und diese Erfahrung gemacht habe. Einen Ausflug in eine mir bis dato unbekannte Welt, die ich nur aus einseitigen Erzählungen kannte. Auch wenn ich nur zwei Hände voll Palästinenser getroffen habe, habe ich gemerkt, dass es Hoffnung gibt. Viele junge Menschen, die das Lernen – ob in Universitäten oder im Internet – für sich entdeckt haben, möchten sich nicht mehr tagtäglich mit dem Konflikt befassen. Stattdessen suchen sie Wege, um sich selbst zu verwirklichen und an ihrer eigenen Zukunft zu arbeiten – sei es als Unternehmer mit einem Start-up, oder als Barista in einem Café. In der Westbank ist jeder vierte Jugendliche arbeitslos. Wenn man diese durch eine stabile und freie Wirtschaft in Beschäftigung bringen könnte, würde dies zu mehr persönlicher Zufriedenheit und Wertschätzung führen. Und die, hoffe ich inbrünstig, würde wiederum den fanatischen Extremismus bekämpfen, der aus Ohnmacht, geringer Wertschätzung, Perspektivlosigkeit und Langeweile entsteht. Doch dafür sind Zugeständnisse beider Seiten erforderlich – sowohl von der kleptokratischen PA, als auch von der mit dem Angst-Degen umher fuchtelnden rechtskonservativen Regierung Israels.

Diesen Text schreibe ich im Café Baccio in ‪#‎TelAviv‬. Die Januar-Sonne wärmt meine Haut und gut gekleidete, schöne Menschen laufen an der Fensterfront vorbei. Um mich herum sitzt Tel Avivs Bohème an ihren Laptops, ihren Smartphones, in Meetings oder beim Lunch und tauschen sich geschäftig aus. Eine ganz andere Welt, als die, in die ich vorgestern eingetaucht bin. Ich schaue aus dem Fenster, beobachte Menschen und versuche Gedanken zu sortieren. Eine Hand reicht mir plötzlich einen Cappuccino an meinen Tisch. Ich bedanke mich höflich, schaue auf den Cappuccino und muss grinsen. Kein Muster im Milchschaum. Ahmad hätte vermutlich ein Herzmuster in den Milchschaum gezaubert, mit Leidenschaft, denke ich mir im Stillen. Und muss grinsen.
P.S.: Ich danke dir, liebe Sophia, für deine Unterstützung beim Filmen und die sehr angenehme und entspannte Gesellschaft. Viel Erfolg weiterhin!

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